Bedürfnisorientierte Mutterschaft ist kein Luxus – sie ist überfällig
Als Mutter einer dreijährigen Tochter fühle ich endlich, dass ich wieder festen Boden unter den Füßen habe. Das bedeutet nicht, dass jetzt alles perfekt ist. Es gibt immer noch Momente der Erschöpfung und Verzweiflung, aber ich sehe wieder Licht. Meistens blicke ich optimistisch in die Zukunft, spüre mehr Balance – und fühle mich wieder wie ich selbst. Doch das war nicht immer so, das Gefühl von Klarheit und innerem Halt ist hart erkämpft.
Diagnose: Anpassungsstörung
Etwa ein Jahr nach der Geburt hatte ich endlich wieder genug Kraft und Kapazität, um mir therapeutische Unterstützung zu suchen. Ich wurde mit einer Anpassungsstörung diagnostiziert. Von Postpartum-Depression, Burnout oder Schlafstörungen hatte ich schon gehört und viele Symptome davon auch bei mir wiedererkannt. Aber „Anpassungsstörung“? Was war das überhaupt?
Die Diagnose umfasste Selbstzweifel, depressive Verstimmung, Antriebslosigkeit, Überforderung und massive Schlafstörungen. Rückblickend muss ich sagen: Ich hatte mich schlichtweg übernommen. Die Geburt meines Kindes und gleichzeitig der Versuch, ein Label aufzubauen, waren keine gute Kombination – zumindest nicht für mich, nicht in dieser Intensität. Was bei anderen so leicht aussah – „mach dich in der Elternzeit selbstständig, jetzt ist doch der Moment“ – wurde für mich ein scheinbar unüberwindbares Hindernis.
Wie konnte es so weit kommen?
Ich war doch immer die, die aktiv, optimistisch und ausgeglichen war. Ich hatte jahrelange Erfahrung mit Achtsamkeit, Yoga und Meditation – und trotzdem fiel ich in ein tiefes Loch. Rückblickend war es eine Mischung aus persönlichen Entscheidungen, einer neuen Lebensrealität – und einem System, das Mütter oft alleinlässt. Die Werkzeuge, die mir vorher geholfen hatten, reichten plötzlich nicht mehr aus.
Die Wahrheit ist: Es kann jeder Mutter passieren. Die Verwandlung zur Mutter – auch Matreszenz genannt – ist ein tiefgreifender Prozess. Und obwohl sie so zentral ist, wird sie gesellschaftlich kaum beachtet oder gar erforscht. Vielmehr wird das Elternwerden oft als das Schönste im Leben beschrieben – etwas, in dem wir aufgehen sollen. Und ja, das tue ich auch. Aber nur, weil ich einen langen Weg hinter mir habe. Weil ich irgendwann erkannt habe, dass ich selbst Hilfe brauche – und es mir erlaubt habe, sie anzunehmen.

Wenn Bedürfnisse übersehen werden
Im Laufe des letzten Jahres wurde mir klar, warum ich so aus dem Gleichgewicht geraten war: Als Menschen haben wir alle grundlegende psychische und emotionale Bedürfnisse. Dazu gehören der Wunsch nach Zugehörigkeit und Bindung, nach Sicherheit, aber auch nach Lebenslust und Leichtigkeit. Wir brauchen Anerkennung und das Gefühl, wichtig zu sein, ebenso wie Autonomie, Selbstbestimmung und natürlich körperliches und seelisches Wohlbefinden.
Wenn mehrere dieser Bedürfnisse über längere Zeit nicht erfüllt werden – etwa weil wir sie im Alltag immer wieder hinten anstellen –, kann das tiefgreifende Folgen haben. Es macht uns verletzlicher, kraftloser, manchmal auch krank. Nicht immer – aber oft. Und gerade Mütter befinden sich in einer Lebensphase, in der diese Bedürfnisse ständig verhandelt und oft zurückgestellt werden müssen.
Superwoman war gestern
Heute weiß ich, dass es kein Zeichen von Schwäche ist, sich in der Mutterrolle verloren zu fühlen. Ganz im Gegenteil. Unsere Gesellschaft macht es Müttern nicht leicht, sich in diesem neuen Lebensabschnitt zurechtzufinden. Viel zu oft stehen wir zwischen den Anforderungen eines „emanzipierten“ Lebensentwurfs und den realen Herausforderungen von Care-Arbeit. Die Erwartungen an uns – und dadurch auch die Erwartungen, die wir an uns selbst stellen – waren nie höher.
Wir sollen Karriere machen, präsent und einfühlsam für unsere Kinder da sein, eine gute Partnerin sein, dabei gesund leben, unsere Freundschaften pflegen und, wenn’s geht, auch noch uns selbst verwirklichen. Doch diese Idealvorstellung ist ein Trugbild, das uns von außen aufgedrückt wird. Die Realität sieht oft anders aus, und das ist völlig okay.
Zeit für neue Narrative
Was ich gelernt habe: Alles hat seine Zeit. Wir sollten JETZT anfangen, diese überhöhten Erwartungen loszulassen – und das Muttersein so zu gestalten, wie es sich für uns richtig anfühlt. Denn Perfektion gibt es nicht. Was es gibt, ist unsere Stärke, uns gegen unrealistische Vorstellungen zu stellen und für uns selbst einzustehen. Es ist Zeit, sich nicht länger schuldig zu fühlen, sondern stolz auf all das zu sein, was wir tagtäglich leisten.
Text und Fotos: Caecilia Pohl