Wenn die Baby Bomb hochgeht

Wenn die Baby Bomb hochgeht

Die Geburt eines Kindes kann die Paarbeziehung ganz schön auf den Kopf stellen. Wenn die Baby Bomb hochgeht, bleibt nichts mehr, wie es war. Wie schafft man es also als Paar halbwegs unbeschadet durch diese crazy Zeit zu gehen? 

Dazu haben wir uns mit Rosanna unterhalten. Sie steckt mitten in der Approbation zur psychologischen Psychotherapeutin für Erwachsene und ist zertifizierte emotionsfokussierte Paartherapeutin. Dass Familien gesund sind, hält sie für essenziell für unsere Gesellschaft. Mit uns sprach sie über die besonderen Herausforderungen des Elternwerdens und Wege zu einer starken Partnerschaft.
ANTONIA: Ein Kind ist ein radikaler Einschnitt in das Leben und auch die Beziehung. Wie siehst du das aus deiner beruflichen Erfahrung?

ROSANNA: Elternwerden ist ein tiefgreifender Transformationsprozess, bei dem es zu einem Aufeinanderprallen von vielen Bedürfnissen, Unsicherheiten und Dringlichkeit kommt. Einen Umgang damit zu finden, ist eine große Herausforderung. Dazu kommt die Erschöpfung, einfach dadurch, dass man sich um ein Neugeborenes kümmert, sich reinfindet in die neuen Rollen, Sachen neu lernen muss. Das macht es oft schwierig, Dinge mit Leichtigkeit zu nehmen. An diesem Punkt kann sich auch so etwas wie ein elterliches Burnout entwickeln - das ist gar nicht selten, gerade im ersten Jahr. Man ist dauerhaft erschöpft, schläft kaum, hat das Gefühl, nicht mehr auf die eigenen Ressourcen zurückgreifen zu können. Das macht es noch wichtiger, als Paar Wege zu finden, sich gegenseitig emotional zu entlasten um einander nicht zu verlieren.
Wir dürfen nicht vergessen: Auch wir Erwachsenen reagieren aufgrund unserer biologischen Veranlagung zunächst instinktiv auf Stress - wie andere Säugetiere - mit Kampf, Flucht oder Erstarren. Unter dauerhaftem Stress ist die Fähigkeit unseres präfrontalen Cortex, Emotionen bewusst zu steuern und zu regulieren, stark eingeschränkt. Und dann braucht es umso mehr die Beziehungsperson, die für eine Weile Co-Regulation anbietet. Ähnlich wie wir als Babys nur mit Hilfe von Co-Regulation - also durch den Körperkontakt, die tröstende Stimme und die Nähe unserer Bezugsperson - überhaupt zur Ruhe finden konnten, bevor unser Gehirn reif genug war, das selbst zu leisten. Solange uns aber die emotionale Selbstregulation nicht gelingt, ist es wahrscheinlich, dass wir ungewollt negative Bindungssignale an unseren Partner senden, was uns als Paar schnell in eine negative Eskalationsspirale schickt: Wenn es uns schlecht geht, handeln wir auf eine Art und Weise, die es dem anderen schwer machen kann, sich in unserer Gegenwart wohl und sicher zu fühlen, und der Stress steigt so auch auf der anderen Seite. Es kann auch sein, dass Verletzungen aus der Zeit vor dem Elternsein sich unter Erschöpfung umso stärker in die Beziehung drängen. Und dann kann es wirklich schwierig werden, respektvoll und zugewandt zu bleiben. Deswegen ist es enorm wichtig zu wissen: Wie repariert man und nähert sich dem, was da gerade nicht stimmt, auf eine liebevolle Art und Weise? Wenn dann eventuelle frühere Lösungsstrategien, sei es Humor oder Versöhnungssex, nicht greifen oder einfach nicht zur Debatte stehen, sind Paare oft hilflos.

ANTONIA: Und was können Paare in solchen Momenten tun, um wieder verbundener miteinander zu werden?

ROSANNA: Es kann sehr hilfreich sein, nonverbal in Kontakt zu gehen und das eigene Erleben knapp zu benennen. Zum Beispiel einfach in die Augen zu schauen und zu sagen: „Es ist mir gerade alles zu viel.“ Und wenn der andere dann antwortet: „Ich sehe das, es ist viel - komm her, ich halte dich kurz“, macht das oft schon einen riesigen Unterschied. Solche Mikromomente von „Ich sehe dich und bin bei dir, du bist nicht allein“ schaffen Nähe, auch wenn sich die Situation objektiv nicht sofort lösen lässt, z.B. weil das Kind jetzt halt zu Mama will. Und genau darum geht es: nicht alles reparieren zu müssen, sondern präsent zu sein und den anderen in seinem Erleben beizustehen.  Man muss die Situation für die andere Person nicht unbedingt lösen.
ANTONIA: Was sind aus deiner Erfahrung die größten Stolperfallen für Paare beim Elternwerden?

ROSANNA: Es ist nicht mal so spezifisch fürs Elternwerden, sondern eine Stolperfalle, in die fast alle Paare irgendwann mal treten: emotional aufeinander eingestimmt zu sein. Wenn wir sehen, dass es unserem Partner oder unserer Partnerin nicht gut geht, ist es ganz natürlich, dass wir möchten, dass es anders ist. Als Menschen wollen wir möglichst in einem angenehmen Gleichgewicht leben und unangenehme Gefühle vermeiden – das schließt die unangenehmen Gefühle unserer Beziehungsperson oft mit ein. Gefühle sind auf gewisse Weise ansteckend. Ein Problem entsteht, wenn wir versuchen, die Gefühle des Partners zu „reparieren“ oder „wegzumachen“. Genau dann passiert emotionale Invalidierung – wir geben dem anderen indirekt zu verstehen: „Dein Gefühl ist nicht okay“ oder „Du darfst das nicht fühlen“. Das kann schnell dazu führen, dass sich der Partner isoliert fühlt, Distanz entsteht und die Beziehung weniger stressresilient wird. Wenn wir sofort Lösungen vorschlagen, kommt das oft an wie: „Ich halte das nicht aus, dass es dir schlecht geht“ oder „Du musst immer gut drauf sein“. Solche Versuche sind klassische Beispiele für emotionale Invalidierung und genau die Momente, in denen sich Paare oft verlieren. Natürlich gibt es Problemgespräche, die man führen muss, aber erst mal anzunehmen, was gerade da ist und sich emotional auf den anderen einzustimmen, ist ein total wichtiger erster Schritt. Im Grunde ist es so eine Art Achtsamkeitspraxis in Beziehung. Im ersten Schritt geht es darum, wahrzunehmen, was ist jetzt gerade, und dann, ohne das zu verurteilen, präsent zu sein. Genauso wichtig wie das emotionale Validieren des Partners ist es, sich selbst achtsam wahrzunehmen und kleine Schritte der Selbstfürsorge zu gehen.

ANTONIA: Ich hätte gedacht, die größte Stolperfalle wäre etwas Offensichtlicheres. Es ist
interessant, dass du so ein Basic nennst.

ROSANNA: Ja, es ist wirklich ganz basic – sehr simpel, aber nicht einfach. Ich erlebe immer wieder, dass Paare Mühe haben, die Gefühle des anderen wirklich zu sehen und emotional zu validieren.

ANTONIA: Und weil du gerade gesagt hast, dass es so wichtig ist, bei sich selbst zu bleiben – wie schafft man das als Mutter, vor allem am Anfang, wenn so wenig Raum für einen selbst da ist?

ROSANNA: Es gibt eine weit verbreitete Tendenz, das abzulehnen, was unangenehm ist. Unsere Tendenz, schwierigen Gefühlen auszuweichen, kostet jedoch Energie. Wir können uns aber bewusst diesen schwierigen Gefühlen zuwenden. In der Akzeptanz- und Commitment-Therapie zum Beispiel nennt man das den „Struggle Switch“ umlegen: Wenn wir herausfordernde Gefühle bewusst annehmen anstatt mit ihnen zu „strugglen“, wird Energie frei – Energie, die wir einsetzen können, um uns selbst zu helfen, zum Beispiel in dem wir uns sagen: „Ja, es ist jetzt eine schwierige Zeit, und sie geht vorbei.“
ANTONIA: Ja, das ist die Sache, die mir wirklich in der ersten Zeit am allermeisten geholfen hat: Ich habe mir immer gesagt: Es ist nur eine Phase und es ändert sich alles so schnell.
Gibt es etwas, was du aus deiner Erfahrung als Paartherapeutin besonders für dich mitnimmst?

ROSANNA: Eine Sache, die ich über die Jahre gesehen habe und die mir hilft, ist, was für einen Schaden es anrichten kann, wenn man die eigenen Empfindungen verurteilt oder krampfhaft versucht, sich anders zu fühlen. Und wie wichtig es im Gegensatz dazu ist, Achtsamkeit und Selbstmitgefühl zu praktizieren, immer und immer wieder. Es sind intensive Empfindungen, die man während einer Schwangerschaft oder frühen Mutterschaft – selbst wenn sie gewünscht ist – erlebt. Und da ist gut zu wissen: Wie gehe ich mit mir um, wenn ich herausfordernde Gefühle spüre oder stärker emotional reagiere, als vielleicht gewohnt?
Oft bedeutet das, nicht sofort über große Lösungen nachzudenken, sondern kleine Schritte der Selbstfürsorge zu unternehmen. Emotional gesehen ist das so etwas wie Erste Hilfe: innehalten, anerkennen, dass ich gerade getriggert bin, und mir Raum geben, bevor ich überhaupt an Problemlösungen oder Konfliktgespräche mit dem Partner denken kann. Denn in einer starken Aktivierung bin ich ohnehin kaum kreativ oder kooperativ - da übernimmt eher der Selbsterhaltungsmodus. Und wenn der ungebremst in der Paarbeziehung wirkt, kann das sehr verletzend werden. Bei diesem Innehalten kann ich zum Beispiel entdecken, dass ich als Mutter meinem alten Leben hinterhertrauere. Aber das heißt nicht, dass ich mein Kind nicht liebe oder dass ich die Entscheidung, Mutter zu werden, bereue. Das kann alles gleichzeitig da sein. Und da hilft es, präsent zu sein mit dem, was gerade vor sich geht, und sich vielleicht sogar der
Bezugsperson anzuvertrauen in diesen schwierigen Gefühlen, anstatt sich zu isolieren, um den anderen nicht zu belasten.
ANTONIA: Ich finde es schön, dass du diesen Dualismus ansprichst. Eigentlich ist es ja total logisch – warum soll man nur ein Gefühl fühlen können? Aber oft hat man den Eindruck, das dürfe nicht sein. Dabei sind wir komplexe Wesen mit vielen Gefühlen.

ROSANNA: Ganz genau. Sich bewusst zu machen, dass eine Gleichzeitigkeit existieren kann, kann viel Leid ersparen. Und hier sind wir wieder beim vorhin beschriebenen „Struggle Switch“.

ANTONIA: Nehmen wir zum Beispiel an, ich bin eine kreative Person, aber mir fehlt aktuell die Energie oder Zeit, kann man sich auf die Suche nach Möglichkeiten im Kleinen begeben. Ich kenne zum Beispiel eine Mutter, die hat, während sie quasi unter ihrem Kind begraben bei der Einschlafbegleitung lag, angefangen, mit ihrem Handy KI-generierte Bilder zu erschaffen (Grüße gehen raus an Tina Bobbe). Daraus wurden mega coole Sachen, die richtig durch die Decke gegangen sind. Sowas ist möglich, wenn man sich auf die Suche nach einem Ausweg begibt, statt sich auf die Limitationen zu konzentrieren.

ROSANNA: Ja, nicht wütend darauf zu sein, dass die Umstände so sind, wie sie sind, sondern zu akzeptieren und das Beste daraus zu machen. Wie gesagt, es heißt nicht, dass wir nicht grundlegend überlegen sollten, wie wir bestimmten Problemen vorbeugen oder wie wir bestimmte Probleme lösen. Aber der erste Schritt ist immer, sich um sich zu kümmern und zu fragen: Was brauche ich jetzt gerade? Wo möchte ich hin und welche kleinen Schritte kann ich in diese Richtung gehen? In meiner Arbeit und auch persönlich habe ich immer wieder vor Augen geführt bekommen, wie wichtig es ist, zu akzeptieren, was gerade ist und dann zu schauen: Was ist das Netteste, was ich gerade für mich tun kann in diesem schwierigen Moment?

ANTONIA: Voll schön. Das vergisst man oft, vor allem im busy Alltag mit Kind.

ROSANNA: Es braucht auch wirklich Praxis: sich immer wieder zurückzuholen ins Hier und Jetzt, anstatt von sich oder dem Gegenüber zu verlangen, anders zu sein, als man gerade ist. Am Ende zählen die kleinen Schritte und die Aufmerksamkeit für sich selbst und füreinander.



Interview & Text: Antonia Pahlke
Fotos: Isa Rus
 

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