Alles wie immer...
Schwangere sollten sich schonen, aufpassen, was sie essen, nicht heiß baden und auf keinen Fall mehr Fahrrad fahren. In meiner Schwangerschaft hatte ich auf diese Art Bevormundung keine Lust. Ich wollte allen beweisen, dass nichts anders war, und machte mehr oder weniger weiter wie zuvor. Zum Glück ließ meine Schwangerschaft das zu.
Alles unter Kontrolle...
Ich vertraute auf meinen Körper und darauf, dass er schon wüsste, was zu tun ist. Geburtsberichte las ich mit Absicht nicht, um mich nicht beeinflussen zu lassen. Der wahre Grund war wahrscheinlich eher eine ordentliche Portion Angst. Ich wollte daran glauben, dass man mit dem richtigen Mindset und etwas Vorbereitung eine positive und empowernde Geburt erleben kann. Also machte ich den obligatorischen Geburtsvorbereitungskurs, ging zum Yoga, preppte mich mit Dammmassagen, hörte Podcasts zu Hypnobirthing und las Bücher über selbstbestimmte Geburt. Meine Wünsche hielt ich stichpunktartig in einem Geburtsplan fest – klar wollte ich eine natürliche Geburt.
Ich hatte alles im Griff – so sehr, dass ich die Kliniktasche absichtlich nicht packte. Denn in meiner Welt konnte ich damit steuern, wann das Baby kommt.
Reality Check
Als es dann losging, fühlte es sich allerdings nicht mehr so an, als hätte ich irgendetwas unter Kontrolle. Getrieben vom Eindruck, dass es jeden Moment losgehen würde, und leichter Panik, waren wir viel zu früh in der Klinik. Der Gedanke, vorher meine Hebamme anzurufen, kam mir nicht. Ich verbrachte die meiste Zeit in der Badewanne des Vorwehen-Zimmers. Die Zeit verging unendlich langsam und es passierte … nichts. Oder zumindest viel zu wenig. Meinen Wunsch nach „keine Interventionen“ nahm man ernst – vielleicht zu ernst. Die meiste Zeit wurden wir uns selbst überlassen.
Nur nach den Schichtwechseln – und davon gab es einige – kam von ärztlicher Seite Aktionismus auf: „Jetzt muss endlich mal etwas passieren.“ Ich war noch immer überzeugt, mein Körper macht das schon, und war eher überrumpelt.
Lange dachte ich, dass die letztlich vielen Interventionen mein Geburtserlebnis zerstört hätten. Weil mein Wunsch nach einer natürlichen Geburt geplatzt war. Ich hatte mich doch vorbereitet und fühlte mich fast ein bisschen betrogen.
Perspektivwechsel
Heute sehe ich es anders: Eigentlich waren es nicht die Eingriffe selbst, sondern der Eindruck, dass ich nicht in charge war und nicht richtig gehört wurde. Ich habe gern Dinge unter Kontrolle – nur ist eine Geburt nichts, was man kontrollieren kann. Im Gegenteil: Man muss die Kontrolle abgeben und vertrauen. Allerdings ist das schwer, wenn man so gar nicht weiß, was auf einen zukommt.
Keine Frau, die noch nie ein Kind geboren hat, weiß wirklich, was Geburt bedeutet und wie sie währenddessen reagieren wird. Vielleicht macht es also doch Sinn, Geburtsberichte zu lesen oder mit Freundinnen oder auch der Hebamme ganz konkret zu sprechen. Das eigene Geburtserlebnis wird nie so sein wie das einer anderen. Aber die Erfahrungen anderer können helfen, das Spektrum des Möglichen zu sehen, zu erkennen, dass es kein „Normal“ gibt, und sich klarer darüber zu werden, was man selbst möchte oder nicht möchte.
Was will ich wirklich?
Was mich damals hilflos gemacht hat, waren meine starren Erwartungen. Ich hatte mir Dinge vorgenommen oder lehnte sie ab, ohne richtig zu reflektieren. Weil es in meiner Bubble gerade Konsens war. Besser vorbereitet wäre ich gewesen, wenn ich Szenarien durchgespielt und mehr hinterfragt hätte: Was wäre meine Traumgeburt? Welche Abweichungen wären realistisch? In welchen Fällen machen Interventionen für mich Sinn? Warum möchte ich (k)eine PDA? Warum will oder sollte ich Geburtsschmerz aushalten?
Und vor allem: Was brauche ich, um mich sicher zu fühlen und zu entspannen? Welche Umgebung tut mir gut? Wie viele Informationen möchte ich? Wenn eine Begleitung diese Überlegungen kennt und dich unterstützt, sollte dein Körper im Autopilot-Modus laufen, kann das ein Stück Kontrolle zurückgeben – eine, die wirklich trägt.
Der Kontrollfreak in mir weiß (jetzt): Geburt ist nicht planbar. Aber du kannst dich informieren, reflektieren und Menschen an deiner Seite haben, die deine Wünsche kennen. Du musst in diesem Moment nicht alles steuern – sondern gehört und getragen werden. Und du musst niemandem etwas beweisen!
Text: Antonia Pahlke
Fotos: privat